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Brno 24.1.1915-Montpellier 16.6.1940

Vitezslava Kapralova wurde am 24. Januar 1915 in Brno [Brünn] geboren. Ihr Vater, Vaclav Kapral, selber Komponist und Professor am Konservatorium für Musik in Brünn, unterstützte sie bei ihren ersten Kompositionsversuchen. Von 1930 bis 1935 studierte sie Komposition bei Vilem Petrzelka und Dirigieren bei Zdenek Chalabala am Brünner Konservatorium. Nach ihrem Abschluß ging Kapralova nach Prag (1935-1937), um ihre Ausbildung bei Vitezslav Novak (Komposition) und Vaclav Talich (Dirigieren) an der Meisterschule des Prager Konservatoriums fortzusetzen. Sie erhielt ein Stipendium für weiterführende Studien an der Ecole Normale de Musique in Paris, an der sie von 1937 bis 1939 bei Charles Munch studierte. Zur gleichen Zeit wurde Kapralova auch Privatschülerin von Bohuslav Martinu, dessen Konzert für Cembalo und Orchester sie 1938 in Paris dirigierte. Kapralova hinterließ ein bemerkenswertes kompositorisches oeuvre, darunter die Militär Sinfonietta. Dieses Werk wurde 1937 von der Tschechischen Philharmonie unter der Leitung der Komponistin uraufgeführt. Mit ihm eröffnete sie auch 1938 zusammen mit dem BBC Orchester das Festival der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in London. Nach der Besetzung der Tschechoslowakei im März 1939 entschied sie sich, in Frankreich im Exil zu bleiben. Im April 1940 heiratete sie den Schriftsteller Jiri Mucha. Wegen der bevorstehenden Einnahme von Paris durch die deutsche Armee wurde Kapralova nach Montpellier evakuiert. Am 16. Juni 1940 erlag dort die erst 25 jährige Komponistin einer schweren Krankheit.

Text: Karla Hartl. Deutsche Übersetzung: Baerenreiter Verlag.

Kapralovas frühe Kompositionen gehen auf ihre Studienzeit am Brünner Konservatorium zurück. Vor allem die Suite en Miniature Op. 1 (1931-1935), Zwei Lieder Op.4 (1932), Sonata Appassionata für Klavier Op. 6 (1933), wie auch das Klavierkonzert Op. 7 (1934-1935) sind überaus innovativ und ausgeglichen in ihrer Form. Allerdings fehlt es diesen noch an individuellem Ausdruck. Unter der Führung von Vitezslav Novak begann Kapralova die sie charakterisierende, musikalische Sprache zu entwickeln. Kapralovas erstes reife Werk ist das Streichquartett Op. 8. Bereits die ersten Skizzen zeigen eine vielseitige Verwendung mährischer Melodik und Idiome, welche ihr Spätwerk auszeichnen. Während ihrer Studienzeit mit Novak wurden die Charakteristika ihres musikalischen Ausdrucks herausgebildet, und diese stellten eine solide Grundlage für das weitere Schaffen der Kapralova dar. Ihr musikalisches Heranreifen ist in dem Liederzyklus Für Immer Op. 12 (1936-1937) nach Textvorlagen von J. Carek und J. Seifert, und in den beiden wichtigsten Werken der "Novak Periode", dem Orchesterwerk Militär Sinfonietta Op. 11 (1937) und dem Lied Winkend Abschied nehmen Op. 14 (nach einem Gedicht von V. Nezval orchestriert 1938 in Paris) anschaulich dokumentiert. Die beiden letztgenannten Kompositionen stellen die zwei charakteristischen Richtungen in Kapralovas Werk dar. Die Militär Sinfonietta zeichnet sich durch die Kompaktheit der Form sowie durch das „Novaksche" Themenfundament aus. Winkend Abschied nehmen hingegen durch sensitive tonale Interpretation des lyrischen Inhaltes, wie auch durch suggestive Objektivität der Stimmung, welche die feinen Nuancen der menschlichen Stimme und die Orchesterfarben betont. In der musikalischen Entwicklung von Vitezslava Kapralova folgt Winkend Abschied nehmen dem Klavierzyklus April Preludes (1937).

Während ihres Aufenthaltes in Paris waren die bedeutendsten Einflüsse auf Kapralovas Entwicklung die Musik von Bartok und Strawinsky, jene der „Paris Six" so wie das gesamte französische Kulturklima mit seinem verfeinerten Formenkult. Durch die Zusammenarbeit mit Martinu, die sich später zu einer starken Freundschaft entwickelte, nahm Kapralova die Arbeitsweise und teilweise auch die Kompositionstechnik Martinus an. Martinu eröffnete ihr schrittweise auch die Werke der großen Meister der Vergangenheit. Diese enge Zusammenarbeit wird in Martinus Tre Ricercari und Kapralovas Partita für Klavier und Streichorchester Op. 20 (1938/39) deutlich. Kapralovas eigenständigstes Werk, die Variationen über das Thema der Kirchenglocken von Saint Etienne du Mont Op. 16 (1938), wurde ebenfalls in Paris komponiert. Diese Arbeit beschließt Kapralovas überaus schöpferische Anlehnung an die Prinzipien jenes ornamentalen Stils, der für die Music der französischen Cembalisten kennzichnend ist.

Zu einer Zeit als die Okkupation Frankreichs näher rückte und gleichzeitig sich Kapralovas Gesundheitszustand dramatisch verschlechterte, scheint Kapralovas Werk von fieberhaften Bemühungen gekennzeichnet, den persönlichen Stil zu vervollkommnen; einem Stil, der psychologischen effektvoll-modernen Ausdruck mit perfekt ausgeführter Kompositionsstruktur verbindet. Die zwei letzten vollendeten Werke, die Suita Rustica Op. 19 (1938) und die bereits erwähnte Partitia für Klavier und Streichorchester Op. 20 sind Ergebnisse dessen. Sie verkörpern den Ausdruck eines reifen, stark individualistischen Talents, verfeinert durch das Wissen um zeitgenössische stilistische Stömungen. Beide genannten Werke basieren auf kurzen Sätzen und melodisch knapp gehaltenen rhythmischen Gruppen. Die Themen verraten ihre mährische Herkunft, die Instrumentation zeichnet sich durch umfassendes Wissen der französischen Musik und des Schaffens von Igor Strawinsky aus. Die zwei Liederzyklen In die Ferne gesungen Op. 22 (1939) und Sekunden Op. 18 (1936-1939), Deux Ritournelles pour Violoncello et Piano Op. 25 (1940) und das Fragment des Concertino für Violine, Klarinette und Orchester Op. 21 (1939) stellen die Kulmination der kontinuierlichen Entwicklung der Kapralova hin zu einem Stil reich an Ausdruckskraft und gleichzeitig rational disziplinierter, moderner polyphoner Struktur. Obwohl ihr Nachlass lediglich ein Ansatz dessen ist, was im Begriff war, sich weiter zu entwickeln, so bildet Kapralovas Schaffen doch eine kontinuierliche, herausragende und progressive Strömung in der Entwicklung der tschechischen Musik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Entnommen: The History of Czech Music Culture 1890-1945 [2], pp. 267/268, Academia Prague 1981. Engl. Übersetzung von Ludmila Hatrick. Deutsche Übersetzung: Matthias Wurz.

WERKLISTE

(in der Reihenfolge ihrer Entstehung):

Einige meiner allerersten Kompositionen. Klavier (1924-1925)
Valse triste. Klavier (1927) An die Mutter. Kinderchor (1928)
Eine Klavierminiature. Klavier (1929)
Kompositionen des ersten Schuljahres. Klavier (1930–1931)
Lieder. Eine Singstimme und Klavier (1931)
Suite en miniature, Op. 1. Klavier/Kammerorchester (1931/1935)
Trauermarsch, Op. 2. Klavier (1932)
Fünf Kompositionen für Klavier. Klavier (1932)
Legende und Burlesque Op. 3. Violine und Klavier (1932)
Zwei Lieder, Op. 4. Eine Singstimme und Klavier (1932)
Glühende Asche, Op. 5. Eine Singstimme und Klavier (1932-1933)
Januar. Eine Singstimme und Quintett (Fl, Kl, 2 Vl, Vc) (1933)
Sonata Appassionata, Op. 6. Klavier (1933)
Klavierkonzert in D-Moll, Op. 7. Klavier und Orchester (1934-1935)
Zwei Blumenbouquets. Klavierminiaturen. Klavier (1935)
Streichquartett, Op. 8 (1935-1936)
Drei Stücke für Klavier, Op. 9 (1935)
Ein Apfel aus der Schürze fallend, Op. 10. Eine Singstimme und Klavier (1934-1936)
Frühling auf den Wiesen. Eine Miniature für Klavier. Klavier (1936)
Ein kleines Lied. Klavier (1936)
Militär Sinfonietta, Op. 11. Sinfonisches Orchester (1936-1937)
Für Immer, Op. 12; Eine Singstimme und Klavier (1936-1937)
Ostinato Fox. Klavier (1937)
Drei Klavierstücke für Kinder. Klavier (1937)
April Preludes, Op. 13. Klavier (1937)
Winkend Abschied nehmen, Op. 14. Eine Singstimme und Klavier/Orchester (1937/1938)
Weihnachtslied. Eine Singstimme und Klavier (1937)
Weihnachtswunsch. Klavierminiaturen. Klavier (1937)
Ilena, Op. 15. Eine Ballade für Soli, gemischten Chor, Rezitator und Orchester (1937-1938)
Trio für Oboe, Klarinette und Fagott. Oboe, Klarinette und Fagott (1937-1938)
Variations sur le Carillon de l’Eglise St-Etienne-du-Mont, Op. 16. Klavier (1938)
Zwei Frauenchöre, Op. 17 (1936-1938)
Hymne der freiwilligen Krankenschwestern des tschechoslowakischen Roten Kreuzes. Zwei Singstimmen und Klavier (1938)
Sekunden, Op. 18. Eine Singstimme und Klavier (1936-1939)
Suita Rustica, Op. 19. Großes Orchester (1938)
Partita, Op. 20. Klavier und Streichorchester (1938-1939)
Elegie. Violine und Klavier (1939)
Für Karel Capek. Melodram mit Violine und Klavier. Rezitation, Violine und Klavier (1939)
Concertino für Violine, Klarinette und Orchester, Op. 21 (1939)
Sonatine. Violine und Klavier (1939)
In die Ferne gesungen, Op. 22. Eine Singstimme und Klavier (1939)
In Böhmischen Landen. Eine Singstimme und Klavier (1939)
Lied der Arbeiter Gottes. Eine Singstimme und Klavier (1939)
Militärmarsch. Kammerorchester (1939)
Weihnachtslied. Eine Singstimme und Klavier (1939)
Prélude de Noël. Kammerorchester (1939)
Festliche Fanfare. Eine Miniature für Klavier (1940)
Zwei Tänze für Klavier, Op. 23. Klavier (1940)
Opus 24: Unbekannt bzw. verschollen
Bühnenmusik, Film- Radio- und Theatermusik (1940)
Kurzgeschichte für eine Kleine Flöte. Querflöte und Klavier (1940)
Brief. Eine Singstimme und Klavier (1940)
Deux ritournelles pour violoncelle et piano, Op. 25. Violloncello und Klavier (1940)

DISKOGRAPHIE